„Ich bin katholischer Priester, ich bin Jude, ich bin israelischer Staatsbürger, bin in Ägypten geboren, wo ich die ersten 18 Jahre gelebt habe. Ich spüre in mir vier verschiedene Identitäten: Ich bin wirklich Christ und Priester, ich bin wirklich Jude, ich bin wirklich Israeli, und wenn ich mich auch nicht als Ägypter fühle, so stehe ich doch den Arabern, die ich kenne und liebe, sehr nahe.“
Bruno Hussar wurde am 5.5.1911 geboren. Nach Beendigung des Gymnasiums in Kairo wurde er von seinen Eltern zum Studium nach Paris geschickt. Er studierte zuerst an der Ecole Centrale, wurde Diplomingenieur und übte diesen Beruf auch aus. Als die deutsche Armee Frankreich besetzte, wurden alle Juden aufgefordert, sich ein J in den Paß stempeln zu lassen. Hussar, der mit seinen Einkünften als Ingenieur seine Mutter und Geschwister unterstützte, vermutete, daß man die Juden internieren würde – er stellte sich allerdings sehr naiv die Konzentrationslager aber mehr wie „Zelte auf einer grünen Wiese“ vor. Er wollte vermeiden, daß er als Lagerinsasse seiner Familie nicht mehr helfen konnte, und ließ seinen Paß ungestempelt. Auf abenteuerlichen Wegen entkam er in das südliche, zunächst noch nicht von den Deutschen besetzte Frankreich und fand dort Arbeit. Er schrieb, er habe sein Judesein dabei nie verleugnet. Mit Hilfe von Freunden konnte er überleben.
Während seines Studiums war er in Kontakt mit einer katholischen Studentengruppe und dadurch zum ersten Mal in seinem Leben auch zu Fragen nach Gott gekommen. Seine Antwort fand er, indem er Christ wurde. Er ließ sich taufen, trat später in den Dominikanerorden ein, erhielt den Ordensnamen „Bruno“ und wurde 1950 Priester. Dies bedeutete von neuem ein gründliches Studium, nun das der Theologie. Von seinem Provinzial wurde er 1953 nach Jerusalem geschickt, um dort ein Haus für Studien des Judentums aufzubauen, das Haus des Jesaja, ein Haus und Leben des Studiums. Diese Gründung nimmt heute in der Wissenschaft in Jerusalem einen wichtigen Platz ein.
Beim Studium der heiligen Schrift im Haus des Jesaja und im täglichen Leben in Jerusalem erfuhr Hussar immer wieder, daß Juden, Christen und auch die Muslime sich als Kinder Abrahams verstehen, der für alle drei ihr Vater im Glauben ist. Diese Erkenntnis will er in die Tat umsetzen. In seiner Autobiographie „Ein Weg der Versöhnung“ schreibt er:
„Wir dachten an ein kleines Dorf, das Menschen aus den verschiedenen Gemeinschaften des Landes umfaßte. Juden, Christen und Moslems würden dort in Frieden miteinander leben, ihrem eigenen Glauben sowie ihren Traditionen treu bleiben und gleichzeitig diejenigen der anderen respektieren und in dieser Verschiedenheit eine Quelle der persönlichen Bereicherung finden. Wir wollen prüfen, ob ein geschwisterliches Zusammenwohnen in Achtung vor dem Anderssein der anderen möglich sei, und dann, war diese Probe bestanden, den Rahmen für eine „Schule des Friedens“ bilden. In den verschiedenen Ländern gibt es Akademien, auf denen man jahrelang die Kriegskunst erlernt. Gemäß dem prophetischen Wort: „ Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg“ (Jes 2,4 und Mi 4,3) wollten wir eine Friedensschule errichten, denn auch der Frieden ist eine Kunst: Er entsteht nicht improvisiert, sondern muß gelernt sein.“
Hussar stellt 1967 seinem Provinzial in Paris seine Idee vor. 1970 erhält er die Erlaubnis sich ganz diesem Projekt zu widmen. Er nennt es Neve Shalom nach einem Wort des Propheten Jesaja „Mein Volk wird in einer Oase des Friedens leben“ (Jes 32,18).
Vom Trappistenkloster Latroun erhält er ein durch die Kriege 1948 und 1967 verwüstetes Grundstück und lädt 1972 dorthin junge jüdische und arabische Familien aus Israel ein, das Dorf gemeinsam mit ihm aufzubauen. Der Anfang auf dem kahlen Hügel ohne Wasser und Strom, mühsam über einen holperigen Weg nur erreichbar, war sehr schwierig.
Heute besteht das Dorf Neve Shalom/Wahat al Salam aus 60 Familien, zur Hälfte jüdische und zur anderen arabische Bürger Israels. Letztere, die sich bewußt auch Palästinenser nennen, sind Muslime und Christen. Hussars Traum, daß Juden, Christen und Muslime in seiner Oase des Friedens zusammenleben, ist also in Erfüllung gegangen, wenn auch die Familien mehr Wert legen auf die zahlenmässige Ausgewogenheit zwischen jüdischen und palästinensischen Familien als auf die der religiösen Zusammensetzung.
Die gleiche Zahl von Juden und Arabern soll das gleiche Gewicht beider in den Entscheidungen der Dorfgemeinschaft sichern.
[Adaption der Rede zur Verleihung des Edith-Stein-Preises am 2.11.2003 in Göttingen]
Bruno Hussar starb am 8. Februar 1996 in Jerusalem, und wurde im Friedhof von Neve Shalom/Wahat al Salam beerdigt. Er sagt in seinem Testament: “In Neve Shalom haben wir nur ein einziges Ziel: die Versöhnung unserer beiden Völker im Frieden.….Ich wünsche, daß sich meine Freunde über alle Grenzen der Religion, der Meinungen und der Philosophie hinweg in der Liebe und im Glauben vereinen. Im Glauben an den Sieg der Liebe über die Feindschaft. Das ist die wahre und tiefste Aussage von Neve Shalom. Ein Gerechter hat gesagt: „Sät Liebe, wo es keine Liebe gibt, und ihr werdet Liebe ernten.“
Es ist möglich, daß der, der die Liebe gesät hat, sie nicht selbst ernten wird. Aber es wird jemand nach ihm kommen. Und ohne Zweifel, jeder Samen wahrer Liebe wird eines Tages, morgen oder übermorgen, Früchte der Liebe bringen. Und das ist das echte Ziel von Neve Shalom: die Hoffnung zu bewahren und viel Liebe zu säen auf dem trockenen Boden unseres Landes. Die Ernte wird zu ihrer Zeit kommen.“
Er hat den Namen für seine Gründung vom Propheten Jesaja (32,16 ff.) genommen:
„In der Wüste wohnt das Recht und im Fruchtfeld die Gerechtigkeit. Das Werk der Gerechtigkeit ist Friede und ihr Ertrag Sicherheit und Ruhe für immer. In einer ‘Aue des Friedens’ (Neve Shalom) wohnt dann mein Volk, in sicheren und ruhigen Wohnungen.“